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Waisenhaus

Das Waisenhaus wurde 1866 eröffnet und von Johanne Friedlander finanziert. 1938 war es nicht mehr in Betrieb. Es wurde von Minna Czerkowsky bewirtschaftete, die dort möblierte Zimmer vermietete. Es gehörte der jüdischen Waisenhausstiftung, die es 1938 an Dr. Vincent Lissek verkaufte, den Rechtsanwalt, der später Staatsanwalt in Fulda wurde.

1960 reichte Dr. Lissek einen Antrag auf Lastenausgleich für ein Einfamilienhaus in der Gartenstraße 3 ein, dass er seinen Angaben zufolge im Jahr 1938 erworben hatte. Auf die Frage, ob er einen der Vermögensgegenstände, für den er eine Entschädigung beantragte, von einer politische verfolgten Person erworben habe, antwortete er: "entfällt".

Ferner beantragte er einen finanziellen Ausgleich für die Möblierung und die Fachbücher in seiner verloren gegangenen Kanzlei.

Lesen Sie hier seinen Antrag auf Lastenausgleich.

Nun recherchierte das Lastenausgleichsamt intensiv nach, ob er wirklich all diese Bücher besessen habe und welchen Wert diese hatten. Diese Recherche macht einen Großteil der Lastenausgleichsakte aus. Schließlich musste Dr. Lissek einen deutlichen Abschlag auf seine Forderungen hinnehmen, wogegen er keinen Widerstand leistete. Im Gegenteil, der Beamte vermerkte, dass Dr. Lissek auf seine Nachfragen hin sofort zurück gerudert sei.

Auch zu seinem Einfamilienhaus recherchierte das Lastenausgleichsamt und befragte – wie üblich - einige Zeugen. Obwohl beim Erwerbsjahr „1938“, das Dr. Lissek offen angegeben hatte, beim Lastenausgleichsamt alle Alarmglocken hätten schrillen müssen, befragte es die Zeugen aber nicht dazu, auf welchem Weg das Gebäude in das Eigentum des Dr. Lissek gekommen war. Das Lastenausgleichsamt stellte nur die üblichen Fragen: War Dr. Lissek 1939, dem Stichtagsjahr für den Lastenausgleich, Alleineigentümer, wann war das Gebäude errichtet worden, welche Zimmer und welche Haustechnik war vorhanden, etc.

Lesen Sie hier den Fragenkatalog, der an alle Zeugen verschickt wurde.

Hätten alle Zeugen sich darauf beschränkt, diese Fragen zu beantworten, die Frage der „Arisierung“ wäre nie aufgekommen. Aber gleich mehrere Zeugen beantworteten die erste Frage ausführlicher als gebeten und sagten aus, dass Dr. Lissek 1939 im Alleineigentümer war, weil er das Gebäude 1938 von der jüdischen Gemeinde gekauft hätte.

Lesen Sie hier die Aussagen der Zeugen, die aussagten, dass es sich um jüdisches Eigentum handelte:
Wilhelm Schirmer
Josef Dornhof
Hermann Markgraf

Unter diesen Zeugen befand sich auch Wilhelm Schirmer, der frühere Kreisbüroleiter und stellvertretende Landrat, der nun die Heimatauskunftstelle beim Lastenausgleichsamt leitete. Bisher war Wilhelm Schirmer nur dadurch aufgefallen, dass er den Antragstellern grundsätzlich Rückendeckung gab. Selbst wenn er keine konkreten Angaben machen konnte, versicherte er dem Lastenausgleichsamt zumindest, dass er den Antragsteller als vertrauenswürdige Person kennen gelernt hatte und dessen Angaben deshalb schon ihre Richtigkeit haben würden. Im Fall Richard Schatka/ Siedner hatte er sogar die unglaubwürdige Geschichte des Richard Schatka gedeckt. Hier agierte er anders, im Fall Dr. Lissek warf er ungefragt das Thema der Arisierung auf.  Er wusste mit Bestimmtheit, was er mir dieser Aussage auslöste.

Nun mussten die Behörden weiter recherchieren. Sie befragten zunächst Dr. Lissek selbst, der nun zugab, dass er das Gebäude nicht von der damaligen Pächterin, sondern von der Jüdischen Waisenhausstiftung erworben hatte. So wie er die Aussage formulierte, müsste eigentlich angenommen werden, das er vorher ausgesagt hatte, dass er die Liegenschaft von der damaligen Pächterin erworben hatte. Dann hätte es sich eindeutig um einen Betrugsversuch gehandelt. Eine solche Aussage konnte ich in der Akte jedoch nicht finden. Wurde sie nachträglich entfernt?

Lesen Sie hier die Zeugenaussage von Dr. Lissek vom 5.5.1961

Weiterhin sagte Dr. Lissek aus, dass es sich zwar um jüdisches Eigentum gehandelt hatte, der Erwerb durch ihn aber unproblematisch sei, weil der Kaufpreis in die freie Verfügung von Dr. Luft, dem Vorsitzenden der Stiftung aus Ratibor, gelangt sei. Er habe ihm das Geld persönlich überbracht.


Lesen Sie hier die Zeugenaussage von Dr. Lissek vom 15.5.1961

Dr. Lissek wurde vom Lastenausgleichsamt nicht aufgefordert, den Kaufvertrag und Beweise für die Zahlung des Kaufpreises vorzulegen. Dabei war Dr. Lissek nicht in den Kriegswirren des Januar 1945, sondern erst im Juli 1946 geflüchtet. Er hätte also genug Zeit gehabt, seine Unterlagen einzupacken und mitzunehmen. Dr. Lissek wurde auch nicht dazu befragt, wie es ihm – anders als den anderen Käufern jüdischen Eigentums - gelungen war, die Genehmigungsbehörden zu umgehen, die 1938 regelmäßig die Zahlung auf ein konfisziertes Konto anordneten.

Auch suchte das Lastenausgleichsamt nicht nach Dr. Luft, dem Verkäufer. Einzig als Zeugin befragt wurde eine Freundin der Familie Dr. Lissek, Magarete Faber. Die Familie Faber hatte 1933 die Apotheke von dem jüdischen Eigentümer Paul Bender erworben. Margarete Faber bestätigte, dass Dr. Lissek den Kaufpreis persönlich an Dr. Luft gezahlt habe. Woher sie diese Kenntnis besaß, wurde sie vom Lastenausgleichsamt nicht gefragt.
Ferner sagte Magarete Faber aus, dass die wichtigsten jüdischen Familien Eisner, Siedner, Frl. Schwarz und Frl. Zurkowski befürwortet hatten, dass das Gebäude an Dr. Lissek verkauft wurde.

Lesen Sie hier die Aussage von Margarete Faber.

Diese Aussage griff das Lastenausgleichsamt dankbar auf und machte aus Dr. Lissek einen allseits bekannten Judenfreund, dem es ein persönliches Anliegen war, dass die verarmte jüdische Bevölkerung den Kaufpteis erhielt. Schon deshalb sei die Aussage, dass er Dr. Luft das Geld zur freien Verfügung übergeben hätte, glaubwürdig. Das Lastenausgleichsamt zahlte die Entschädigung.

Lesen Sie hier den Bescheid.